Spiritualität versus Religiosität
Erfolgreiche Forschung des Kleinsten und Größten und die Enträtselung immer komplexerer Zusammenhänge der Natur sind bewunderungswürdig. Im gleichen Maße verloren gegangen aber ist Demut, die in Forschung und Philosophie der letzten Jahrhunderte durchaus präsent war. Freigeist und Forschungserfolge haben die Überheblichkeit der Ratio auf die Spitze getrieben. Sie wäre die Ultima Ratio zur Lösung aller Fragen und Probleme. Logische Konsequenz ist die Ablehnung sowohl dogmatischer Heilslehren und Religionen, wie auch tiefer philosophischer Gedanken als nicht zeitgemäß – nicht „up to date“ zu neuesten Erkenntnissen.
Techno-Atheismus
Ein ebenso unduldsamer materialistischer Technologie gläubiger Atheismus macht sich breit – der Freiheit und wahnwitziges Denken über alles stellt – voll einhergehend mit der Produktionsmaschinerie, deren und unser Überleben kontinuierlichem Konsum geschuldet ist. Interessanterweise stellt sich die glorreiche menschliche Intelligenz – unser „höchstes Gut“ – gerade selbst in Frage. „Zeitnah“ ist sie dabei, sich selbst abzuschaffen durch maschinelle künstliche Intelligenz (AI = Artificial Intelligence) und neuer Robotik, ersonnen von eben jener menschlichen Ratio. Diese Wendung ist überraschend – nicht neu – um so mehr aber existenziell bedrohend. Genius Goethe hat bereits beschrieben was passiert, wenn man Demut durch Hochmut ersetzt. Hier haben wir ihn, den faustischen Pakt, auf kollektiver Ebene.
Das Vakuum
Einerseits umarmen wir diese materialistische Welt, gleichzeitig lassen wir hinter uns Tradition und Religion, die historisch Werte und Orientierung vorgaben – über die man streiten kann. So haben wir es erschaffen, ein Vakuum an Sinnlosigkeit und Trivialität. Es speist sich aus beschwörenden, dümmlichen Marketing-Parolen und der Überzeugung, dass Religionen dem Menschen schon immer Unheil brachten, was kaum zu widerlegen ist, historisch und besonders jüngsten Erfahrungen nach. Nicht zu weit hergeholt und in keinster Weise Rechtfertigung, besteht eine Relation zwischen unserem sinnentleerten westlichen Lebensstil und einer brutalen Gegenbewegung, die aus Frustration, Dogmatik und Fanatismus schöpft.
Manipulation
Religiosität muss man zugute halten, dass sie der eingeborenen Ehrfurcht des Menschen entspringt, das Unerklärliche, Unendliche mit einem Übernatürlichen zu verbinden. Kriminell wird es, sobald eigennützige Ambitionen ins Spiel kommen und unschuldige primitive Gemüter Opfer der Manipulation werden. Zuckerbrot und Peitsche – dazu die Finesse einschüchternder Dogmen – halten die Herde unter Kontrolle, um sie auszupressen, oder machtpolitisch zu nutzen. Mutiert zu Amts-Religionen, hat Religiosität dann endgültig seine Unschuld verloren.
Durchgangsphasen
Aus der Sicht von Sahaja Yoga existieren zwei Positionen gesellschaftlicher Entwicklung, die als Durchgangsphasen der Evolution letztlich wieder aufzugeben sind. Religionen sind Konstrukte des „Tamas“, der Qualität des konditionierten, traditionellen, fixierten Verhaltens. Freidenkertum und Atheismus dagegen sind Konstrukte des „Rajas“, der Qualität der uferlosen, grenzenlosen Ideen und Illusionen. Tamas ist orientiert an der Vergangenheit, Rajas an der Zukunft, zwei Extreme, die sich nicht aufheben, aber in moderater Kombination zur Balance führen können, zur dritten Qualität des „Satwa“, der Qualität der Weisheit, oder dem Pfad der Mitte.
Vorbilder
Einer der ganz Großen bekannte sich zu Spiritualität – nicht Religiosität. Albert Einstein’s Ansicht nach durchläuft die Menschheit drei Phasen religiöser Entwicklung: Religion aus Furcht, aus Sozialmoral und aus kosmischer Erkenntnis – begleitet von abnehmender Dogmatik. Aus seinen Memoiren: „Je weiter die spirituelle Evolution der Menschheit fortschreitet, desto sicherer scheint es mir, daß der Pfad zu echter Religion weder auf Lebensangst noch Todesangst noch blindem Glauben gründen kann. Meine Religion besteht aus bescheidener Bewunderung des Grenzenlosen, das das Höchste formte, und das sich in kleinen Details offenbart, die selbst ein gebrechlicher und schwacher Geist wahrnehmen kann“. Wie schön gesagt!
Demut und Skepsis
Spiritualität ist immun gegen manipulative Verführung. Denn sie folgt Skepsis und Hinterfragung, forschender Aufklärung und dem Freiheitsgedanken, versteigt sich dabei nicht in überhebliches Denken. Andererseits respektiert sie den großen Fluss spiritueller Evolution mit all den großen Seelen, die ihr Impulse verliehen haben. Die Idee des allgegenwärtigen Übernatürlichen, Göttlichen in der Schöpfung, innen wie außen, ist für den spirituellen Sucher Gewißheit. Seine Essenz – das Atma – zu suchen, anerkennt er als seine Bestimmung. Solch Suche kann nicht bequem, effektiv oder praktikabel sein. Nicht käuflich, kann sie auch keiner Organisation überantwortet werden. Wir allein sind Meister unseres Schicksals. Es ist ein absolut individueller, selbstverantwortlicher Werdegang der Innen- und Außenschau, von Meditation, Kontemplation und alltäglicher Erprobung und Manifestation der Erkenntnis. Dafür möchte Sahaja Yoga Sie gewinnen.